Jahresrückblick 2023

Der Vorstand und das Sekretariat der IG Hanf bedanken sich herzlich für die Unterstützung und die Solidarität, die wir in diesem Jahr gespürt haben. Bevor wir in die Festtage eintauchen, werfen wir einen Blick zurück auf das ereignisreiche Jahr 2023.

1.   Pilotversuche mit Cannabis in der Schweiz

Die lange erwarteten Pilotversuche zur Cannabisregulierung sind im Frühjahr 2023 endlich gestartet. Bis Ende 2023 sind schweizweit sechs Pilotversuche vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) genehmigt worden. Untersucht werden unterschiedliche Abgabestellen und die Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Konsumenten. In den Pilotversuchen können erstmals Lieferketten für den Vertrieb von Cannabis zu rekreativen Zwecken erprobt werden. Die ersten Pilotversuche laufen bereits im Jahr 2025 aus, weshalb die Dringlichkeit besteht, eine nachhaltige Anschlusslösung zu finden.

Die Organisatoren der Pilotversuche sind verpflichtet, das BAG jährlich über den Verlauf zu informieren und die Ergebnisse in einem Forschungsbericht festzuhalten. Das BAG wertet die Versuche im Rahmen einer Meta-Studie aus und fasst die Erkenntnisse in einem Bericht zuhanden des Bundesrats zusammen. Wegen der bereits angelaufenen politischen Bestrebungen im Parlament für eine Neuregulierung von Cannabis erfolgt die Auswertung fortlaufend. Weitere Infos zu den Pilotversuchen findest Du auf der nachfolgenden Übersicht und hier.

CH-PilotversucheCann-LGrashaus Projects BLLa CannabinothèqueSCRIPTWeedCareZüri Can
  (Unter-) TitelPilotprojekt in Lausanne mit nicht-gewinnorientiertem VerkaufWissenschaftliche Studie zum legalen Cannabis-Verkauf und -Konsumregulierter Zugang zu Cannabis im Kanton GenfForschung zu Cannabisverkauf in ApothekenStudie zum regulierten Cannabisverkauf in Apotheken des Kantons Basel-StadtStudie zum regulierten Cannabisverkauf in der Stadt Zürich
Verantwortliche OrganisationStadt Lausanne, Sucht Schweiz https://cann-l.ch/contact  Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung, Prof. Dr. Michael Schaub michael.schaub@isgf.uzh.chAssociation ChanGE Frau Ruth Dreifuss ruth@dreifus.chUniversität Bern: Bereich Substanzkonsum, Berner Institut für Hausarztmedizin Prof. Dr. med. Reto Auer  info@script-studie.chUniversität Basel (durchführende Institution), Regine Steinauer regine.steinauer@bs.ch    Stadt Zürich, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Barbara Burri Barbara.burri@zuerich.ch
KantonVDBLGEBE und LUBSZH
GemeindeLausanneLiestal, AllschwilVernierBern, Biel und LuzernBasel-StadtStadt Zürich
Geplante Laufzeit der StudieJuli 2023 bis Juni 2027November 2023 bis November 2028Juni 2023 bis Juni 2027Oktober 2023 bis April 2026Januar 2023 bis März 2025März 2023 bis Oktober 2026
Art der VerkaufsstellenEine spezialisierte, nicht gewinnorientierte Verkaufsstelle.Physische Verkaufsstelle in Liestal und AllschwilGemeinde VernierApothekenApotheken10 Apotheken, 10 Social Clubs, Drogeninformationszentrum Zürich (DIZ)
StudientypBeobachtungsstudieBeobachtungsstudieBeobachtungsstudieKontrolliert-randomisierte Studie (RCT)kontrolliert-randomisierte Studie (RCT), BeobachtungsstudieBeobachtungsstudie
StichprobengrösseStichprobengrösse Total N = 1 600Experimentalgruppe n1 = 3950 Stichprobengrösse Total N = 3950Stichprobengrösse Total N = 1’080Experimentalgruppe n1 = 546 Kontrollgruppe n4 = 545 Stichprobengrösse Total N = 1091Experimentalgruppe n1 = 187 Kontrollgruppe n4 = 187 Stichprobengrösse Total N = 374N = 2’100
FinanzierungStadt Lausanne, Kanton WaadtSanity Group Switzerland AGPrivate Mittel des Vereins ChanGESchweizerischer Nationalfonds (SNF), Tabakpräventionsfonds (TPF), teilnehmende StädteKanton Basel-Stadt, Eigenleistung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Eigenleistung Psychiatrische Dienste Aargau AGStadt Zürich
Produzenten  unb.SwissExtract AGunb.unb.PURE PRODUCTION AGSwissExtract AG (60%) & PURE PRODUCTION AG (40%)

Die IG Hanf begrüsst die Pilotversuche als wichtigen Schritt in Richtung einer modernen und rationalen Cannabispolitik. Wir erhoffen uns sehr, dass sie zu einer breiten und sachlichen Diskussion über die Zukunft von Cannabis in der Schweiz beitragen. Wir werden die Pilotversuche weiterhin eng verfolgen und Euch über alle Projekte und Entwicklungen informieren. Für das Jahr 2024 wüschen wir uns viele neue Pilotversuche und das alle Konsumentinnen und Konsumenten die Möglichkeit erhalten, an einem Pilotversuch in ihrer Nähe teilzunehmen.

2.   Arbeiten der Subkommission «Cannabisregulierung»

Von besonderer Bedeutung war im Jahr 2023 die Arbeit der parlamentarische Subkommission «Cannabisregulierung», welche seit über zwei Jahren zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) an einem Entwurf für ein Cannabisgesetz arbeitet. Die Arbeiten an der parlamentarischen Initiative Siegenthaler (Geschäft 20.473) wurden im September nochmals um zwei Jahre verlängert. Die involvierten Interessensgruppen, darunter die IG Hanf, wurden angehört. Nachdem wir uns im Frühjahr mit unseren Positionen an die Subkommission gewendet haben, konnten wir uns im Laufe des Jahres 2023 als professioneller Ansprechpartner im Gesetzgebungsprozess etablieren.

Die Subkommission wurde dieses Jahr dezimiert durch den Abgang von Verona Herzog (nicht mehr angetreten für den Nationalrat) und Jörg Mäder (nicht mehr gewählt). Die parlamentarischen Kommissionen und Subkommissionen werden für die nächste Legislatur neu zusammengesetzt. Wer neu in die Subkommission Cannabisregulierung hinzukommt und wer sie verlässt, wird im Januar 2024 bekannt.  

Die IG Hanf setzt sich weiterhin aktiv dafür ein, dass die Arbeiten an dem Gesetzesvorschlag voranschreiten können. Unser erklärtes Ziel ist es, zeitnah über einen Entwurf zu diskutieren. Wir bleiben im engen Austausch mit Politikern, um Lösungsvorschläge für etwaige Regulierungsprobleme vorzulegen und konstruktiv an der Gestaltung des Gesetzes mitzuwirken.

Mitglieder der Subkommission Cannabisregulierung: Subkommissionen SGK (parlament.ch)

3.   Politisches Umfeld im Wahljahr

Im Wahljahr 2023 wurden die Erwartungen einer zügigen Umsetzung der parlamentarischen Initiative Siegenthaler beim Branchenverband eher gedämpft. Es wurde keine Umsetzungsvorschläge vorgestellt und nur wenig Details zur Umsetzung sind bisher bekannt.

Der Bundesrat hat am 1. November 2023 in dem umfangreichen Bericht in Erfüllung des Postulates Minder (21.3280) Zukunftsperspektiven für die Cannabisregulierung präsentiert. Der Bundesrat empfiehlt bei einer Neuregelung von Cannabis zu rekreativen Zwecken darauf zu achten, dass Cannabis als legales Produkt nicht gefördert und nicht kommerzialisiert wird. Die Eidgenössische Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nicht übertragbarer Krankheiten schlägt dazu vor, dass der Zugang zu Cannabis ausschliesslich über nicht-gewinnorientierte Verkaufsmodelle erfolgen soll. Im Bericht des Bundesrates werden dazu verschiedene Ansätze diskutiert. Die IG Hanf wird sich im Jahr 2024 zu den Verkaufsmodellen positionieren.

Das neu gewählte Parlament spricht sich auch in Zukunft mehrheitlich für einen regulierten Cannabiskonsum bei Erwachsenen aus. Am deutlichsten zeigt sich das positive Klima gegenüber Cannabis im Ständerat. Vor der Wahl im Herbst 2023 waren nur 48 % der Ständeräten und Ständerätinnen für einen legalen Cannabiskonsum. Seit der Wahl sind fast 60 % eher positiv gestimmt. Ein ähnlicher Wert wie in der Schweizer Bevölkerung.

Unter dem Link findest du eine Auswertung zur Haltung der Politiker und Politikerinnen im National und Ständerat zu einem regulierten Konsum (inklusive Kommentare zur Legalisierung).

4.   Regulierung von THC-armen Produkten

Bis heute fehlt ein klarer Regulierungsrahmen für Cannabinoide / Cannabisprodukte, was zu Unsicherheiten und spürbaren Ungleichgewichten im Markt führt. Daran hat sich im Jahr 2023 nicht viel geändert.

Die IG Hanf Schweiz hat im Rahmen der Vernehmlassung zur neuen Tabakprodukteverordnung (TabPV) zur Regulierung von Cannabis im Tabakrecht Stellung genommen. Die Stellungnahme «Hanf ist kein Tabak» wurde im Oktober 2023 an das Eidgenössisches Departement des Innern versendet.

Am 2. November 2023 wurde die neuste Version der Vollzugshilfe des BAG / BLV / Swissmedic für „CBD und andere nicht psychotrope Cannabinoide“ veröffentlicht. Der Vergleichsbericht der aktuellen Vollzugshilfe zur 5. Version ist im Mitgliederbereich zu finden (Kategorie Rechtliches). Zu Beginn des Jahres 2024 wird die IG Hanf die Position zur Regulierung von THC-armen Produkten vorstellen.

5.   Deutschland auf dem Weg zur Regulierung

Die geplante Freigabe des Konsums und Eigenanbaus von Cannabis in Deutschland ab 2024 zeigt die Notwendigkeit einer zeitnahen Anpassung der Gesetzgebung in der Schweiz. Die ursprünglichen Pläne der Bundesregierung, sahen Fachgeschäfte und regulierte Lieferketten vor. Diese Pläne wurden im Laufe des Jahres 2023 wegen dem Wiederstand einzelner Bundesländer und Gesprächen mit der EU verworfen. Die neue Strategie sieht ein Zwei-Säulen-Modell vor. Geplant ist zunächst die Umsetzung der ersten Säule (Entkriminalisierung und nicht-kommerzieller Anbau), welche voraussichtlich am 1. April 2024 in Kraft treten soll. Wann der Entwurf der zweiten Säule vorgestellt wird, ist bisher nicht bekannt.

Die IG Hanf Schweiz begrüsst die Bestrebungen zur Regulierung in Deutschland ausdrücklich. Die geplanten Social Clubs und der legale Eigenanbau sind ein wichtiger erster Schritt und können eine gute Unterstützung sein, um die Konsumierenden aus dem Schwarzmarkt abzuholen. Jedoch ist dieses Regulierungsmodell nicht für alle Arten von Konsumenten und Konsumentinnen geeignet. Der Fokus muss nun auf die weiteren Schritte der Regulierung gelegt werden.  

6.   Cannabis – ein Interessanter Markt für Organisiertes verbrechen

«Cannabis-Konsumgüter: immer wirksamer und vielfältiger» wird in der Analyse des europäischen Cannabismarktes von der EMCDDA / EBDD und Europol (November 2023) festgestellt. Der Cannabismarkt in Europa ist dem Bericht zufolge immer mehr ein attraktiver Markt für schwere und organisierte Kriminalität. So werden zunehmend Produkte von sehr hoher Potenz mit kommerziellen Marketingstrategien (sowohl online wie auch offline) an die Konsumenten gebracht. Nicht nur Haschisch oder Blüten sind auf dem Schwarzmarkt zu finden sondern auch neuartige hochwirksame Konzentrate, Esswaren und Vapes, die teilweise mit bis zu 90 % THC-Gehalt verkauft werden.

7.   Ein synthetisches Problem – HHC bewilligungspflichtig

Das halbsynthetische Cannabinoid Hexahydrocannabinol, besser bekannt als HHC, wurde am 31. März 2023 vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) als Erzeugnis mit vermuteter betäubungsmittelähnlicher Wirkung in Anhang 6, Verzeichnis der Betäubungsmittelverzeichnisverordnung (BetmVV – EDI) gelistet. Zusammen mit 11 weiteren Substanzen. Im Oktober wurde eine Substanzgruppe von synthetischen Cannabinoiden sowie die Einzelsubstanzen HHCP, delta-9-THCP, delta-8-THCP, H4CBD und weitere Substanzen in der Schweiz bewilligungspflichtig. Diese gelisteten Substanzen dürfen nicht hergestellt, gehandelt oder abgegeben werden. Bewilligungen können für eine industrielle und wissenschaftliche Verwendung beantragt werden. Nicht betroffen von dem Verbot sind natürlicherweise in der Hanfpflanze vorkommende Cannabinoide wie CBD, CBC, CBG.

Im ersten Halbjahr 2023 wurde in den Teststellen für psychotrope Substanzen ein deutlicher Anstieg von verunreinigten Cannabisproben mit synthetischen Cannabis Ersatzstoffen und halb-synthetischen Cannabinoiden festgestellt. Leider geht die Zunahme in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 weiter. Trotz erfolgter behördlicher Massnahmen bleibt der Schwarzmarkt resistent gegenüber Interventionen, was eine erhebliche Gefahr für die Konsumenten und Konsumentinnen darstellt. Besonders bedenklich ist, dass vermehrt Stoffe, wie ADB-BUTANICA festgestellt werden. ADB-BUTANICA ist ein hochpotentes Cannabinoid-Rezeptor-Mimetika, von welchem noch weitgehend unbekannten Gefahren ausgehen.  

An der wiederkehrenden Listung von synthetischen Cannabis Ersatzstoffen und halb-synthetischen Cannabinoiden durch das Eidgenössische Departement des Inneren (EDI) wird deutlich, dass die Problematik bisher nicht wirksam gelöst werden konnte. Im Jahr 2023 wurden vermutlich mehr synthetischen Designerdrogen auf Cannabisblüten aufgetragen und verkauft als je zuvor. Die steigenden Gesundheitsrisiken durch verunreinigte Schwarzmarktprodukte mit toxischen Beimischungen sind alarmierend. Ein effektiver Gesundheitsschutz lässt sich nur in einem regulierten Mark sicherstellen.

8.   Hürden bei der vereinfachten medizinischen Abgabe

Die kurze Zeitspanne seit August 2022 hat bereits Fortschritte und die positiven Aspekte der vereinfachten medizinischen Abgabe gezeigt. Patienten und Patientinnen stehen aber leider weiterhin vor erheblichen Hürden beim Zugang zu medizinischem Cannabis. Unklare Kriterien der Kostenübernahme durch die Krankenversicherer, hohe Preise und das Fehlen spezifisch ausgebildeter Ärzte und Ärztinnen sind nur einige der Herausforderungen. Gerne verweisen wir auf den Rückblick unseres Partnerverbandes MEDCAN, welcher sich ausschliesslich mit den Entwicklungen im medizinischen Sektor beschäftigt hat.

9.   Legaler Besitz von kleinen Mengen Cannabis möglich

Der straffreie Konsum und Anbau von Cannabis für den Eigenbedarf sind längst überfällig. Entsprechend wurde vom Bundesgericht im Jahr 2023 anerkannt, dass es legal ist, geringfügige Mengen Cannabis zu besitzen und die Strafverfolgung das Cannabis nicht beschlagnahmen darf (Link zum Artikel der IG Hanf). Ein Meilenstein auf dem Weg zur Entkriminalisierung.

10.     Faule Pflanzeninvestments

Nicht zuletzt schädigte im Jahr 2023 der Wildwuchs bei Investments in Cannabispflanzen von unseriösen Anbietern den Markt und das Vertrauen der Investoren gelichermassen. Diese Problematik betrifft nicht direkt die Cannabisregulierung, dafür umso mehr die Aufsicht über «neuartige» Finanzprodukte. Hier bietet das schweizerische System den idealen Nährboden für verlockende Investitionsmöglichkeiten, die leider viel zu oft in einem Totalverlust enden können.

Die IG Hanf war dieses Jahr mit vielen Anfragen zu solchen Investitionsmöglichkeiten konfrontiert und meldete Verdachtsfälle regelmässig den zuständigen Behörden. Ebenso teilten wir Warnungen mit der Bevölkerung und mit den Medien.

11.     Baldiger Gesetzesentwurf als Perspektive

Die Entwicklungen des Jahres 2023 unterstreichen die dringende Anpassung der bestehenden Rahmenbedingungen. Die aktuelle Cannabispolitik ist zusammengefasst ineffektiv, kostspielig und schädlich für die Gesundheit und die Sicherheit der Bevölkerung. Deshalb brauchen wir eine Regulierung der Hanfpflanze, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und internationalen Erfahrungen basiert. Eine Vernachlässigung dieser Angelegenheit birgt nicht nur gesundheitliche Risiken für Konsumentinnen und Konsumenten, sondern bedroht auch die Integrität des Schweizer Marktes.

Entsprechend hat sich die IG Hanf Schweiz im Jahr 2023 zur Regulierung positioniert (Positionspapier Schweizer Cannabisregulierung  / Umsetzung 10 Punkte Modell «Schützen und Kontrollieren). Die IG Hanf wird im Jahr 2024 den Fokus drauflegen, die Selbstregulierung weiter auszubauen, die Positionen der Branche konsolidiert nach aussen zu tragen und konstruktiv auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen.


Lukas Brunner
Author: Lukas Brunner